Dienstag, 31. Januar 2012

Sparkommissar für Griechenland?

Die Empörung über die deutschen Vorschläge für einen Sparkommissar für Griechenland ist verständlich. Das Hauptproblem bleibt aber die Lohnentwicklung. Hier will die Troika Maßnahmen wie Senkung der Mindestlöhne und Abschaffung des dreizehnten und vierzehnten Monatsgehalts erzwingen. Es ist zu bezweifeln, dass sich eine signifikante Senkung des Lohnniveaus auf diese Weise erreichen lässt - und die Senkung muss signifikant sein. Letztlich braucht es massive Arbeitslosigkeit um dieses Ziel zu erreichen. Die wird durch die oktroyierte Sparpolitik erzwungen, zum Schaden aller, auch der Deutschen. Das ist tragisch und inhuman.

Eine regionale Lohnindexierung wäre vielleicht weniger entwürdigend. Sie wäre auch fairer, da alle gleichmäßig betroffen wären. Und vor allem: es bräuchte dann keine Arbeitslosigkeit zur Lohnsenkung. Die Griechen sollten sich das mal überlegen - die Deutschen übrigens auch.


Montag, 30. Januar 2012

Die missverstandene Ricardianische Äquivalenz (3)

Eine der absurdesten Formulierungen der Ricardianischen Äquivalenz stammt von dem renommierten Ökonomen John Cochrane aus Chicago. (Paul Krugman  hat darauf aufmerksam gemacht). Cochrane schreibt:
Die "Ricardinaische Äquivalenz" ist das Theorem welches besagt, dass in einer gut funktionierenden Wirtschaft expansive Staatsausgabenpolitik nicht funktioniert.
Das hat nun nahezu nichts mit der Ricardianischen Äquivalenz zu tun, bringt aber auf den Punkt worum es den Chicago-Ökonomen bei dieser Diskussion geht. Sie wollen, koste es was wolle, die Staatstätigkeit einschränken. Die Gründe für diese Haltung sind keine ökonomischen Einsichten, denn ökonomisch gesprochen geht es stets um die bessere Lösung der Probleme. Hier gibt es keine Wahrheiten a priori. 

Verdächtig ist hier insbesondere die Formulierung "in einer gut funktionierenden Wirtschaft". Wenn das heißen soll "in einer vollbeschäftigten Wirtschaft" so stimmt sogar die Aussage, dass expansive Staatsausgabenpolitik nicht funktioniert, und Keynesianer wie Krugman würden der Aussage beipflichten. Die Begründung erfolgt dann aber nicht über Ricardianischer Äquivalenz, sondern mit Hinweis darauf, dass bei Nachfragesteigerung nicht mehr produziert werden kann, weil bereits Vollauslastung aller Ressourcen besteht. Diese Vollbeschäftigungsannahme wird in allen Modellen der neuen klassischen Makroökonomik immer getroffen. Fälle von Unterbeschäftigung, in denen Nachfragepolitik erforderlich ist, werden per Annahme ausgeschlossen und nicht behandelt. Deshalb sind diese Theorien für unsere gegenwärtigen Probleme ziemlich uninteressant.

Vielleicht wollte Cochrane einfach nur sagen: Die Welt ist eine Scheibe weil meine Theorien davon ausgehen.

Samstag, 21. Januar 2012

Sind Sonderrabatte für die Gattin des Bundespräsidenten ökonomisch effizient?

Dieser Tage liest man in der Zeitung, dass die gegenwärtige Gattin des Bundespräsidenten, Frau Bettina Wulff, beim Leasing eines Autos in den Genuß von Sonderrabatten gekommen ist, die an sich nur für VIP (very important persons, d.h. sehr wichtige Personen) vorgesehen sind.

Man könnte nun denken, dass zwar der Bundespräsident zu diesem erlauchten Kreis gehört, aber nicht notwendigerweise seine Gattin. Deshalb sollte die Präsidentengattin keine solchen Rabatte erhalten. Das ist aber juristisch gedacht und unter ökonomischem Gesichtspunkt nicht zutreffend, selbst für den Fall, dass die Präsidentengattin nicht zum Kreis der VIPs zu rechnen ist. Da Herr und Frau Wulff ihre Konsumentscheidungen gemeinsam fällen, würde die Preisstruktur, der sich die Familie Wulff gegenübersieht, verzerrt werden. wenn beide unterschiedliche Rabatte bekommen. Dies könnte sie zu ökonomisch ineffizienten Konsumentscheidungen veranlassen

Hier muss ich etwas grundsätzlicher werden. Er ist für Volkswirtschaftsstudenten im ersten Semester zwar leicht nachvollziehbar, für alle anderen Menschen aber schwerer zugänglich. Der Leser sollte mithin ggf. diesen Absatz überschlagen. Grundsätzlich gilt: In einer Marktwirtschaft sollen die Preisverhältnisse (das Verhältnis Preis Gut 1 zu  Preis Gut 2) die relativen volkswirtschaftlichen Knappheiten, gemessen an den Opportunitätskosten, widerspiegeln. Wenn Herr Wulff für sein Privatauto einen höheren Rabatt bekommt als seine Frau (er mit VIP-Rabatt, sie ohne) ist das Auto für Herrn Wulff im Vergleich zum Auto für Frau Wulff.zu billig, oder Frau Wulffs Auto vergleichseise zu teuer. Die Haushaltsentscheidung könnte dann sein, dass ein Auto für Herrn Wulff statt eines Autos für Frau Wulff angeschafft wird, obgleich es volkswirtschaftlich besser sein könnte, wenn ein Auto für Frau Wulff gekauft würde und der (vermutlich positive) Differenzbetrag zum Auto von Herrn Wulff anderweitig ausgegeben würde.

 
Also, kurz gesagt: Die Preisverhältnisse, denen sich der Haushalt Wulff gegenübersieht, müssen den Preisverhältnissen am Markt entsprechen. Deshalb müssen auf alle Waren und Dienstleistungen die gleichen Rabatte gegeben werden. In Anbetracht der Rabatte für Frau Wulffs Garderobe sollten wahrscheinlich diese Rabatte beträchtlich höher sein als die Rabatte, von denen wir sonst gehört haben. Das gilt auch für reduzierte Zinsen und Sonderkonditionen.  Auch diese sind aus volkswirtschaftlicher Sicht viel zu gering. Die Alternative wäre, überhaupt keine Rabatte für Mitglieder des Haushalts Wulff zu geben und die Besoldung des Bundespräsidenten entsprechend zu erhöhen.  Auch das würde die Konsumentscheidung des Ehepaars Wulff richtig lenken. Es hätte den Vorteil, dass die Verhandlungskosten entfielen, die bei der Pflege der Freundschaften von Herrn Wulff für ihn entstehen, hätte aber den Nachteil höherer Belastung für den Steuerzahler.

All dies gilt unter der m.E. realistischen Annahme, dass der Arbeitseinsatz des Bundespräsidenten nicht von der Höhe des allgemeinen Präsidentenrabatts beeinflusst würde.

Zu der obigen Argumentation gibt es einige Einwände, manche weniger zutreffend, andere schwer zu widerlegen. Ich nenne hier nur zwei derartige Einwände.
  • Man könnte einwenden, dass auch die Schwester von Herrn Wulff den Präsidentenrabatt bekommen sollte, da auch die Entscheidungen, die das Präsidentenehepaar und die Schwester von Herrn Wulff gemeinsam treffen, ansonsten verzerrt würden.

    Dies ist aber kein wichtiger Einwand, da kein Anhaltspunkt für solche gemeinsamen Entscheidungen besteht.
  • Ein weiterer Einwand ist der folgende: Der Berliner Autohändler, der Frau Wulff eine günstige Finanzierung geboten hat, ist auf die Gästeliuste des Bundespräsidialamtes gesetzt worden. Ihm war der finanzielle Verzicht, der mit dem Rabatt verbunden war, offenbar weniger wert als diese Einladung. Insofern ist durch die Transaktion sowohl der Autohändler als auch das Ehepaar Wulff besser gestellt worden. Hätte man diese Transaktion verboten, so wäre für beide Parteien ein Nutzenverlust eingetreten. Da sie miteinander verhandelt haben, haben sie das gemeinsame Optimum erreicht, wie das Coase-Theorem besagt.  Irgendwelche Eingriffe oder Vorgaben wären klar effizienzmindernd gewesen.

    Dieser Einwand ist nur schwer zu widerlegen. Allerdings gibt es hier aber weitere Externalitäten, denn auch andere Bürger würden vermutlich gerne vom Bundespräsidenten eingeladen werden. Die ökonomisch optimale Lösung wäre hier eine Versteigerung der Einladungen.

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Übrigens muss ich als Ökonom doch etwas Anstoß daran nehmen, dass das Tätigkeitswort "wulffen" nur in zwei Bedeutungen verwendet wird, die ökonomisch nicht besonders relevant sind. Die Annahme von Sonderrabatten ist ökonomisch wesentlich wichtiger, aber die Sprachwissenschaftler  übergehen hier wieder einmal den zentralen ökonomischen Aspekt. Das Verhalten der Bundeskanzlerin ist hier nicht besonders hilfreich, denn sie unterstützt doch recht undifferenziert das Wulffen an sich ohne zu sagen, auf welche Bedeutung sie sich bezieht. Diese Ambivalenz findet man auch bezüglich des Verbs "guttenbergen", was ja geistigen Diebstahl und Irreführung zusammen beinhaltet. Die Kanzlerin findet das tolerabel, Eigentumsdelikte sind jedoch für den Ökonomen grundsätzlich ein Problem. Das kann ich aber hier nicht im Einzelnen ausführen.

Dienstag, 17. Januar 2012

USA: Wo die Reichen leben

Im Time Magazine vom 9. Januar kann man lesen:
Im Schnitt haben die 10 Bundesstaaten mit den geringsten Einkommensunterschieden eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von 6%, fast ein Drittel geringer als die Quote von 8,9% in den 10 Staaten mit den größten Einkommensunterschieden. Bundesstaaten mit großer Ungleichheit wie Florida und Kalifornien hatten darüber hinaus die größten Spekulationsblasen im Immobiliensektor ("housing bubbles") -- und Immobilienkrisen.
Vielleicht sollte man noch ergänzen, dass große Lohnunterschiede ökonomische Ineffizienz charakterisieren (pdf).

Soviel vorläufig zu Mitt Romneys Aversion gegen "Europäischen Sozialismus"

Samstag, 7. Januar 2012

Die missverstandene Ricardianische Äquivalenz (2)

Die ursprüngliche Überlegung zur Äquivalenz von Steuern und Staatsschulden stammt von David Ricardo. In einem Lexikonbeitrag zur Kriegsfinanzierung aus dem Jahre 1820 diskutiert er ob es besser sei, die Kosten der Kriegführung durch eine Kriegssteuer zu finanzieren, die während des Krieges erhoben wird und mit Kriegsende entfällt oder ob es besser sei, die Kriegskosten durch eine Kreditaufnahme zu finanzieren, mit oder ohne Tilgung, die zu einer dauerhaften Steuerbelastung auch nach Kriegsende führt. Er stellt fest:
Vom rein ökonomischen Standpunkt aus betrachtet besteht kein nennenswerter Unterschied zwischen diesen Finanzierungsformen.
Diese Aussage wird als Ricardianische Äquivalenz bezeichnet: Bei gegebenen Staatsausgaben ist die Finanzierung dieser Ausgaben mittels Schulden oder mittels Steuern äquivalent.

Allerdings schreibt Ricardo zu Beginn des betreffenden Absatzes:
Ich bin entschieden der Meinung, dass die erste Form der Finanzierung [die Kriegssteuer] vorzuziehen ist. ... Wenn die Lasten des Krieges direkt und ohne Abschwächung getragen werden müssen, werden wir weniger geneigt sein mutwillig einen teuren Konflikt zu beginnen.
Ricardo hat also "vom rein ökonomischen Standpunkt" aus Staatsschulden und Steuern zur Finanzierung einer gegebenen zusätzlichen Ausgabe als äquivalent betrachtet, war aber der Meinung, dass die Bürger oder Politiker sich unterschiedlich verhalten würden, je nachdem ob diese Ausgabe durch Steuern oder per Kredit und äquivalenter späterer Besteuerung finanziert würden.

Die neuen klassischen Ökonomen dagegen nehmen an, das die Ricardianische Äquivalenz das tatsächliche Verhalten der Wirtschaftssubjekte im Ergebnis approximativ beschreibt. Der Ökonom Robert Barro hat diese Position theoretisch entwickelt und stellt fest: (pdf)
Die ricardianische Sicht von Staatsdefiziten läuft auf die These hinaus dass die fiskalische Wirkung des Staates durch den Gegenwartswert der Staatsausgaben zusammengefasst werden kann. Ist dieser Wert gegeben, so haben Variationen des Zeitmusters der Besteuerung, wie sie durch Budgetdefizite impliziert sind, keinen Einfluss erster Ordnung auf die Wirtschaft.
Aus dieser Sicht ist es egal ob der Staat Defizite oder Überschüsse macht oder einen ausgeglichenen Staatshaushalt fährt. Die Schlussfolgerungen, die wirtschaftspolitisch aus dieser These gezogen werden sind aber völlig anders. In der deutschen Wikipedia (7.1.2012) heißt es in diesem Zusammenhang::
Kritiker einer Verschuldungspolitik argumentieren, dass durch die Staatsverschuldung die jetzige Generation auf Kosten zukünftiger Generationen lebe (Generationenbilanz). Danach seien Staatsschulden auf die Zukunft verschobene Steuererhöhungen, die dann von den „nachfolgenden Generationen zu tragen sind“.
Dieser Zusammenhang ist in der makroökonomischen Theorie als Barro-Ricardo-Äquivalenzproposition bekannt und beinhaltet als Kernaussage, dass sich das permanente Einkommen der Haushalte durch die Neuverschuldung (=Steuersenkung) nicht verändert und damit keine Auswirkung auf die Ausgaben (=Nachfrage) der Haushalte hat, da die Haushalte die zukünftigen Steuerzahlungen, die durch die gegenwärtige Verschuldung bedingt sind, schon in der Gegenwart durch Sparen antizipieren.
Das erscheint als völlig irrsinnig, die Verfasser des (an sich ordentlichen) Artikels treffen aber den Kern der Sache. So wird das Argument oft wahrgenommen.

Ein schönes Beispiel, wie theoretische Aussagen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung geradezu in ihr Gegenteil verdreht werden.

Nachtrag (1.2.2013)
Ich sollte vielleicht anmerken, dass die These  tatsächlich theoretisch falsch ist und auf dem Irrtum beruht, dass Zinseinkommen der privaten Haushalte aus Staatsschulden nicht zum verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte gerechnet werden, wie ich in einem späteren Blog erwähnt habe.

Nachtrag (24.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation bezüglich der Ricardianischen Äquivalenzthese im vorangegangenen Nachtrag fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen..   

Freitag, 6. Januar 2012

Die missverstandene Ricardianische Äquivalenz (1)

Kritiker keynesianischer Überlegungen zur Staatsverschuldung beziehen sich oft, wenngleich meist recht vage, auf die sogenannte "Ricardianische 'Äquivalenz" die besagt dass für ökonomisch rational handelnde Wirtschaftssubjekte das Lebenseinkommen für den Konsum entscheidend ist und nicht das laufende Einkommen. Deshalb werden Steuersenkungen heute, bei entsprechenden zusätzlichen Steuern in der Zukunft, keinerlei Wirkung auf die Nachfrage haben, so lange eben das Lebenseinkommen (inklusive des Lebenseinkommens nachfolgender Generationen) nicht verändert wird.

Dies ist eine einfache Überlegung zu intertemporalen Budgetbeschränkungen, sowohl des Staates, als auch bei den Privaten, die selbst in ihrer reinsten Form keinerlei Schlüsse über die Höhe und Wirkung der Staatsverschuldung impliziert. Sie wird aber doch oft in dieser Weise fehlgedeutet. Ich werde in diesem Blog einige dieser Fehldeutungen besprechen.

Der (an sich recht ordentliche) Artikel in der deutschen Wikipedia zu diesem Thema (Stand: 5.1.2012) illustriert eine milde, aber sehr verbreitete Form dieses Missverständnisses:
Diesem ökonomischen Standpunkt zufolge sind die Wirtschaftssubjekte in der Lage zu erkennen, dass eine Steuersenkung heute, die in der Zukunft zu höheren Steuern führt, nicht ihr Vermögen über die Lebenszeit beeinflusst. Somit werden die Wirtschaftssubjekte das zusätzliche Einkommen, das sie durch die Steuersenkung erhalten, sparen und nicht für zusätzlichen Konsum ausgeben. Eine so angelegte fiskalpolitische Maßnahme würde also keinen positiven Effekt auf die konjunkturelle Situation der Volkswirtschaft ausüben können.
Diese Formulierung suggeriert stillschweigend, aber unzutreffend, eine Steuersenkung heute müsse notwendigerweise zu Steuererhöhungen in der Zukunft führen die das Lebenseinkommen unverändert ließen und damit keinen Einfluss auf die laufende Nachfrage ausüben würden.

Dies ist aber unzutreffend. Selbst unter idealen Bedingungen müssen Steuersenkungen heute nicht notwendigerweise zu gleichwertigen (d.h. das Lebenseinkommen unberührt lassenden) Steuererhöhungen in der Zukunft führen. 

Um den Fehler zu sehen, kann man den Fall eine Wirtschaft betrachten, die nominal mit 4% wächst (2% Inflation und 2% Wirtschaftswachstum, aber das dient nur zur Illustration, der Leser kann andere Zahlen einsetzen). Der Staat beginnt mit einem ausgeglichenen Haushalt (Einnahmen=Ausgaben, keine Staatsschuld) und senkt nun die Steuern so, daß sein Defizit 4% des Bruttoinlandsproduktes beträgt. Die Staatsschuld wird dann wachsen, denn in jedem Jahr werden neue Schulden aufgenommen. Das prozentuale Wachstum der Staatsschuld ist gleich dem Defizit geteilt durch die Staatsschuld:

                                                          Defizit
Wachstumsrate der Staatsschuld =   -----------------------------
                                                            Staatsschuld

Da anfangs die Staatsschuld gering ist,  ist das prozentuale Wachstum der Staatsschuld zunächst hoch. Mit zunehmender Staatsschuld wird das prozentuale Wachstum der Staatsschuld geringer. Hat die Staatsschuld 100% des Bruttoinlandsproduktes erreicht, so wird sie mit der Wachstumsrate von 4% wachsen. Hätte der Staat nur ein permanentes Defizit von 2% gefahren, so hätte sich die Staatsschuld auf einem Niveau von 50% des Bruttoinlandsproduktes stabilisiert. Eine solche dauerhafte Staatsschuld erfordert zur "Finanzierung" nicht, dass irgendwann in der Zukunft die Steuern erhöht werden und führt auch zu keinen Finanzierungsproblemen.

Man könnte nun einwenden, dass mit zunehmender Staatsschuld die Zinszahlungen des Staates an die Privaten Kreditgeber entsprechend zunehmen. Deshalb "nützt" eine Staatsverschuldung nichts, denn auf die Dauer wird das Defizit von den Zinszahlungen "aufgefressen" und ein "wirkliches" Defizit ist damit langfristig unmöglich.

Diese Überlegung ist aber insofern irreführend, als das Defizit nicht dazu dient, Staatsausgaben zu "finanzieren" sondern die Nachfrage zu stützen. Dies wird erreicht, wenn die Steuern gesenkt werden und wenn Zinszahlungen geleistet werden, die ja ebenfalls Einkommen darstellen. Man denke an den Grundsatz der funktionalen Finanzpolitik dass alle Maßnahmen allein in Hinblick auf ihr Ergebnis getroffen werden sollten und nicht nach irgendwelchen traditionellen Vorstellungen über gesunde oder ungesunde Finanzpolitik. Wenn es darum geht, die verfügbaren Einkommen zu erhöhen, wird dieses Ziel mittels permanenter Steuersenkungen erreicht.

Außerdem ist die Überlegung, dass der "Finanzierungsspielraum des Staates" durch Defizite eingeschränkt wird, in vielen Situationen einfach unzutreffend. Nehmen wir an, der Zinssatz sei 5%. Bei einem permanenten Defizit von 4%  beträgt die langfristige Staatsschuld 100% des Bruttoinlandsproduktes. Mithin muss der Staat 5% des Bruttoinlandsproduktes an Zinslasten permanent tragen, also mehr als das Defizit. Allerdings muss dann aber berücksichtigt werden, dass die Zinseinkünfte der Einkommenssteuer oder Abgeltungssteuer unterliegen. Werden die Zinseinkünfte beispielsweise (und der Einfahheit halber) mit einem Steuersatz von 20% besteuert, so fließt ein Fünftel der Zinszahlungen als Steuereinnahme an den Staat zurück. Netto muss der Staat dann 4% Zinsen zahlen. Das Defizit kann dann also gerade die Zinszahlungen "finanzieren". Wenn das Defizit auf Steuersenklungen beruht, die die Nachfrage stärken sollen, so wird das Ziel erreicht: Die verfügbaren Einkommen steigen aufgrund der Steuersenkungen und der Zinszahlungen und die verfügbaren Mittel des Staates werden nicht verändert. Liegt die Besteuerung der Zinseinkünfte über 20%, so wird in diesem Beispiel das Defizit nur zum Teil für Zinszahlungen verwendet. Liegt die Besteuerung unter 20%, so muss allerdings ein Teil der Zinszahlungen aus dem laufenden Budget zugeschossen werden. Auf jeden Fall aber wird das Defizit kurzfristig und langfristig nachfragewirksam sein. Das Ziel wird erreicht, selbst dann, wenn gar nicht eingerechnet wird, dass die Nachfragestärkung zu höheren Einkommen und höheren Steuereinnahmen führt.

Nebenbei: Wenn die Kredite zur Finanzierung des Defizits bei der Zentralbank aufgenommen werden, erfolgen die Zinszahlungen an die Zentralbank. Dies sind dann Gewinneinkünfte der Zentralbank, die  vollständig ins Staatsbudget zurückfließen. Auch hier wird natürlich das Ziel der Nachfragestärkung erreicht.

Der grundsätzliche Fehler von vielen Überlegungen in diesem Zusammenhang ist, daß sich die Schuldenproblematik in einer wachsenden (möglicherweise auch nur nominal wachsenden) Wirtschaft anders stellt als in einer stationären Wirtschaft. Die Diskussion um die Ricardianische Äquivalenz vollzieht sich oft vor einem gedanklichen Hintergrund, der in einer stationären Wirtschaft zutreffend sein mag, in einer wachsenden Wirtschaft aber wirklich irreführend ist.

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Die Grenze der Staatsschuld liegt nicht in irgendwelchen Finanzierungsproblemen sondern darin, dass der Staat nicht so viel ausgeben darf, dass Inflation entsteht. Das kann  bedeuten, dass er weniger ausgeben sollte als er einnimmt, das kann aber auch bedeuten, dass er mehr ausgeben sollte als er einnimmt. Mit der "Finanzierungsseite" hat das überhaupt nichts zu tun, denn die Staatsschuld wächst langfristig immer mit der gleichen Wachstumsrate wie das Inlandsprodukt.

Genaueres dazu findet man in meinem Beitrag zu diesem Thema (pdf). Es gibt auch eine inoffizielle deutsche Fassung (pdf)  die aber nicht von mir stammt.


Nachtrag (17.1.2012). Ich sollte anmerken dass die hier dargestellten Überlegungen bereits 1976 von Martin Feldstein publiziert wurden.

Nachtrag (24.2.2013) Nachtrag (1.2.2013). Ich sollte außerdem anmerken, dass die Äquivalenzthese tatsächlich theoretisch falsch ist und auf dem Irrtum beruht, dass Zinseinkommen der privaten Haushalte aus Staatsschulden nicht zum verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte gerechnet werden, wie ich in einem späteren Blog erwähnt habe.

Nachtrag (24.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation bezüglich der Ricardianischen Äquivalenzthese fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen..   

Mittwoch, 4. Januar 2012

Mal nicht zur Sache: Wulffs Interview aus der Sicht eines Professors

Aus der Sicht eines Professors, unabhängig von jedweder Ökonomie:

Soeben habe ich das Interview des Bundespräsidenten gesehen, das er ARD und ZDF gewährt hat.

Ich habe viele mündliche Prüfungen abgehalten. Bei unserem Präsidenten sehe ich die gleiche Verhaltensweise wie bei unsicheren Studenten: Sie schauen permanent auf die Reaktion des Prüfers (bei Wulff: der Interviewer)  und richten ihtre Antworten nach der  Mimik des Prüfers. Sie versuchen nicht, den Prüfer von ihrer Ansicht zu überzeugen, oder mindestens davon, dass es gute Gründe für diese Antwort gibt, selbst wenn der Prüfer anderer Meinung sein sollte. Sie versuchen nur, sich durchzumogeln. Und so jemand ist Präsident!

Frau Wulff ist doch Medienexpertin. Warum hilft sie Ihrem neuen Mann nicht und bereitet ihn besser vor?

Nachtrag (10.1.2012): Das obige gibt meinen tatsächlichen Eindruck wieder. Dieser Eindruck ist nicht als Verleumdung  intendiert, sondern eben als wahrheitsgemäße Darstellung meines Eindrucks, der ja auch falsch sein kann.

Allerdings muss ich sagen, dass der Herr Bundespräsident seine im Interview gegebene Zusage gebrochen hat, alle 400 Fragen und Antworten aufs Netz zu stellen. Ich hatte ihm das, trotz meines Eindrucks, tatsächlich geglaubt und habe einige Zeit damit vergeudet, diese nicht vorhandenen Antworten am nächsten Tag auf dem Netz zu suchen. Es gibt nur eine recht uninformative Darstellung seiner Anwälte. Mein Eindruck war wohl doch nicht ganz falsch. Auch bei der Aussage, dass der Herr Bundespräsident seine öffentliche Zusage gebrochen hat, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Ich nehme sie gerne zurück wenn sie widerlegt wird.


Montag, 2. Januar 2012

So nicht, Herr Präsident!

Ich meine hier nicht den Bundespräsidenten zu dem nichts weiter zu sagen ist, sondern den Präsidenten Anibal Cavaco Silva von Portugal. In einem Interview in "Time" vom 12. Dezember 2011 antwortet er auf die Frage, was in Portugal schief gelaufen sei:
Nach dem Beitritt Portugals zur Euro-Zone ging das Zinsniveau in Portugal stark zurück. Infolgedessen nahm die Binnennachfrage zu, die Verschuldung stieg, die Auslandsverschuldung stieg und die Defizite stiegen. Wir korrigieren nun diese Fehler.
Es ist aber grob irreführend zu behaupten, dass die Staatsverschuldung die gegenwärtigen Probleme verursacht haben, wie diese Formulierung nahelegt und wie viele immer wieder behaupten.  Vielmehr ist die Verschuldungskrise eine Folge der Finanzkrise, nicht umgekehrt. Im Falle von Portugal sieht das so aus:


Man sieht: Die Verschuldungskrise folgt auf die Finanzkrise von 2008. Das war nicht nur in Portugal so, sondern in allen Krisenländern (PIGS: Portugal, Irland,Griechenland, Spanien):



Man sieht außerdem, dass Spanien und Irland vor der Finanzkrise bei der Neuverschuldung zurückhaltender waren als die EU-Länder. Wer die gegenwärtigen Beschäftigungsprobleme in diesen Länder  auf exzessive Staatsverschuldung zurückführt stellt, wissentlich oder unwissentlich, die Wahrheit auf den Kopf.