Donnerstag, 15. Dezember 2022

Die Wirkunng der Besteuerung von Spitzeneinkommen und die Selektionstheorie der Lohnbildung

In einer interessanten Untersuchung gehen Daniel Keniston und  Abigail Peralta der Frage nach, ob hohe Steuern Superstars dazu veranlassen weniger zu arbeiten. Sie schreiben:

Wir testen diese Hypothese anhand vollständiger Daten zum Arbeitsangebot von Hollywood-Filmstars von 1927 bis 2014. Änderungen der Grenzsteuersätze in hohen Steuerklassen haben keinen signifikanten Einfluss auf die Anzahl der Filme, die ein Filmstar pro Jahr dreht. In Jahren mit hohen Steuern produzieren die Stars jedoch mehr hoch bewertete Filme mit preisgekrönten Regisseuren, wobei sie möglicherweise prestigeträchtige Filme gegen finanzielle Gewinne eintauschen.

Mit anderen Worten:  Die Arbeitsleistung (Zahl der Filme) ändert sich durch schärfere Besteuerung nicht, jedoch verbessert sich die Qualität der Filme.

Dass die Arbeitsleistung nicht zurückgeht und die Qualität erhöht wird war zu erwarten, denn bei der Bezahlung von Superstars handelt es vermutlich um Selektionslöhne, eine spezielle Art von Effizienzlöhnen (siehe hier und hier). Solche Löhne dienen nicht der Kompensation von Arbeitsleid sondern sind so bemessen, dass sie konkurrierende Lohngebote anderer Interessenten übertreffen. Die Studios wählen die Entlohnung unter dem Gesichtspunkt, dass eine höhere Bezahlung es ermöglicht, ein größeres und qualitativ besseres Bewerberfeld in Betracht zu ziehen und entsprechend erfolgreichere Filme zu produzieren. Die Bezahlung wird dann letztlich so festgesetzt, dass die finanziellen Kosten höherer Bezahlung zwecks besserer Besetzung gerade durch die zusätzlichen Einnahmen  wettgemacht werden, die durch die so ermöglichte bessere Filmqualität erzielt werden können. Kurz: Die Filmstudios konkurrieren um die Qualität der Schauspieler. Das treibt die Entlohnung der besonders guten - der Superstars - in die Höhe.

Wenn die Besteuerung erhöht wird, bleiben die bestverdienenden Schauspieler weiterhin die bestverdienenden Schauspieler. Sie werden zwar höher besteuert, ihre Rangfolge nach Entlohnung bleibt jedoch erhalten. Diese Schauspieler schauspielern nicht des Lebensunterhalts willen sondern aus Neigung, aus künstlerischer Berufung und wegen der künstlerischen Anerkennung und auch um des künstlerischen Ruhmes und Erfolgs willen. Insofern ist nicht verwunderlich, dass die Zahl der Filme bei Erhöhung der Besteuerung nicht zurückgeht. Kenison und Peralta veranschaulichen dies mit sehr schönen Beispielen. Sie erwähnen z.B. dass George Clooney eine Gage von 3 Dollar für das Schreiben, die Regie und die Hauptrolle in "Good Night, and Good Luck" akzeptiert hat, ein Film, der später für 6 Oscars nominiert wurde.

Jedoch verringert eine höhere Besteuerung die Selektionswirkung höherer Lohngebote, denn diese werden zum Teil weggesteuert und erreichen damit die Schauspieler nur in geringerem Maße als bei niedrigerer Besteuerung. Damit gewinnen andere Gestaltungen des Arbeitsumfelds größeres Gewicht auch bezüglich der Selektionswirkungen: Eine bessere Ausstattung, ein besserer Regisseur oder eine bessere Filmmusik, beispielsweise, können einen Superstar dann überzeugen, ein in diesen Hinsichten besseres Projekt gegenüber einer finanziell attraktiveren vorzuziehen. Entsprechend werden die Studios diese Aspekte stärker bei Ihrer Planung berücksichtigen. Wenn die Wirkung höherer Bezahlung durch höhere Besteuerung beschnitten wird, werden die anderen selektionsrelevanten Aspekte in stärkerem Ausmaß gewichtet. Das macht verständlich warum die Filmqualität durch höhere Besteuerung positiv beeinflusst wird. Wie die Autoren bemerken, legt dieses Reaktionsmuster nahe: Hohe Steuern führen dazu,  dass gut verdienende Künstler Qualität gegenüber lukrativeren "Blockbuster"-Filmen bevorzugen.

Die Verfasser erwarten ähnliche Ergebnisse bei den Spitzenverdienern. Ich würde das ebenfalls erwarten, z.B. bei Spitzenmanagern.

Angebots-Nachfrage-Theorie und Selektionslöhne

Die Verfasser interpretieren ihren Befund nicht im Rahmen der Selektionstheorie, wie ich das hier gemacht habe, sondern gemäß der konventionellen Angebots-Nachfrage-Theorie.

Der grundsätzliche Unterschied zwischen diesen beiden theoretischen Gesichtspunkten bezieht sich auf den Markträumungsmechanismus:

Angebots-Nachfrage-Theorie. Diese Theorie betrachtet Arbeitsmärkte, bei denen die Arbeitsanbieter alle in gleicher Weise die Tätigkeit durchführen können. Wenn mehr Arbeitskräfte gesucht werden als vorhanden sind, werden die Unternehmungen mit erhöhten Lohngeboten um diese Arbeitskräfte konkurrieren. Wer jedoch arbeitet, ist für die Arbeitgeber gleichgültig, sei es deshalb, weil die Arbeitsleistung eines einzelnen Arbeitnehmers technisch vorgegeben is, wie etwa am Fließband, oder weil die Entlohnung strikt nach Leistung erfolgt, wie etwa bei den kalifornischen Erntehelfern nach Menge der geernteten Früchte oder in den vorindustriellen Bergwerken nach Menge der geschlagenen Kohle.

Selektionstheorie. Hier wird angenommen, dass die Unternehmungen sowohl mit Lohngeboten als auch mit Qualifikationsanforderungen auf Ungleichgewichte reagieren. Wenn also zu wenig Arbeitskräfte vorhanden sind um die vorhandenen Jobs zu füllen, werden die Unternehmungen höhere Löhne bieten und zugleich die Qualifikationsanforderungen senken. Umgekehrt werden sie bei einem Angebotsüberhang die Lohngebote senken und die Qualifikationsanforderungen erhöhen. Der Grund liegt in der Heterogenität der Arbeitskräfte. Die verschiedene Arbeitskräfte die für einen Job zur Verfügung stehen, sind zwar alle geeignet, den Job zu erledigen,  sie können das aber unterschiedlich gut. (Es gibt unterschiedlich gute Verkäufer, unterschiedlich gute Ingenieurinnen, und so weiter. Die Unternehmungen sind nicht indifferent zwischen den verschiedenen Bewerbern, wie die Angebots-Nachfrage-Theorie  stillschweigend unterstellt, sondern versuchen, bei Einstellungsgesprächen  die besten Bewerberinnen herauszufiltern. Bei höheren Lohngeboten verbessert sich diese Auswahl. Das Lohngebot wird aber typischerweise nicht so stark gesenkt, dass gerade noch ein Bewerber für eine offene Stelle zur Verfügung steht. Der Markt wird also typischerweise nicht geräumt. Der Selektionseffekt führt zu einer Reihe von Regelmäßigkeiten bei der Lohnbildung, die in der einfachen Angebots-Nachfrage-Theorie keinen Platz haben, wie etwa höhere Löhnen in Ballungsgebieten, Firmengrößeneffekten und Industrieeffekten bei der Lohnbildung, Lohndiskriminierung und anderes.)  

Die Selektionstheorie greift, wenn Heterogenität der Arbeitskräfte vorliegt, was gewiss bei Filmstars oder bei Managern zutrifft, aber auch für viele einfachere Arbeiten -- Verkäufer, Klempner, Schlosser, Bauarbeiter, Programmierer etc. -- gilt, da auch hier deutliche Leistungs- und Fähigkeitsunterschiede anzutreffen sind.

Die beiden Theorieansätze unterscheiden sich zudem diametral bezüglich der zu erwartenden Wirkung einer schärferen Besteuerung auf die Lohnungleichheit vor Steuern: Bei Selektionslöhnen wird sie reduziert. Wenn sich jedoch die Löhne gemäß dem Angebots-Nachfrage-Schema bilden würden, würde sich die Lohnungleichheit vor Steuern vergrößern. In einer gross angelegten OECD-Studie für ganze Wirtschaften - nicht nur für Spitzenverdiener, wurde gefunden, dass eine höhere Besteuerung die Lohnungleichheit vor Steuern reduziert. Dies steht im Einklang mit der Selektionstheorie (und allgemeiner auch der Effizienzlohntheorie) und legt nahe, dass diese nicht nur für Superstars und Spitzenmanager, sondern auch für viele andere Berufe von Bedeutung ist. Ich habe dies in einem früheren Blog besprochen. 

Anmerkung

Die Selektionstheorie geht auf zwei Arbeiten von Melvin Reder zurück (hier und hier). Ich spreche deshalb auch oft in diesem Zusammenhang von "Reder-Wettbewerb", siehe hier.





Sonntag, 29. August 2021

Wie reagiert das Wohlbefinden auf Einkommenserhöhungen oder Einkommensverringerungen?

 Richard Easterlin bemerkt dazu

Die Antwort ist, dass die Menschen ihre Einkommenssituation unterschiedlich bewerten wenn die Wirtschaft expandiert oder wenn sie schrumpft. Wenn im Zuge des Wirtschaftswachstums die Einkommen im Allgemeinen steigen, wird die Bewertung von "sozialem Vergleich" dominiert - was mit den Einkommen der anderen geschieht. Ein Anstieg des Einkommens der anderen untergräbt die Tendenz, dass die Zufriedenheit  mit dem eigenen Einkommen wächst - die Zufriedenheit bleibt dann ziemlich konstant. Aber in einer Rezession, in der die Menschen zunehmend Schwierigkeiten haben, ihren festen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, ändert sich die Einkommensbewertung. Die finanzielle Klemme -- der Rückstand gegenüber dem zuvor erzielten Einkommen -- nimmt zu. Je größer der Rückstand, desto geringer ist die Zufriedenheit.

Es besteht also eine Asymmetrie bei der Bewertung von Einkommensänderungen, je nachdem ob das Einkommen steigt oder fällt. Dies führt zu einer entsprechenden Asymmetrie in der Reaktion der Zufriedenheit auf Einkommensveränderung.

In einer sehr groß angelegten Studie von DeNaeve und anderen (2018) ist dieser Effekt nachdrücklich bestätigt worden. (Duesenberry hatte bereits 1949 auf diesen "Sperrklinken-Effekt" als empirisches Phänomen hingewiesen, der auch auf den Konsum durchschlägt.) 

Bei Einkommenssteigerungen steigt also das Wohlbefinden, bei Einkommensverringerungen fällt es. Man könnte nun daraus schließen, dass langfristig das Wohlbefinden im Durchschnitt zunimmt wenn das Einkommen im Durchschnitt wächst. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Die Autoren bemerken:

Negative Wachstumsjahre sind signifikant mit einer Abnahme von Glück und Freude und einer Zunahme von Sorgen und Stress verbunden, die die Befragten während dieser Zeiträume erfahren. Positives Wachstum geht aber nicht mit mehr Glück und Freude einher.

Die Autoren veranschaulichen das mit der folgenden Graphik:

Der (schematische) Zusammenhang zwischen Einkommen und Wohlbefinden (Link).

Also wiederum eine Bestätigung von Duesenberry's Relativeinkommenshypothese - siehe meine früheren Posts hier, hier und hier - nun mit einer detaillierteren Darstellung des zeitlichen Mechanismus.

Freitag, 27. August 2021

Erhöht eine Solarpflicht für Neubauten die Hauspreise und Mieten?

In einigen Bundesländern wird eine Solarpflicht für Neubauten eingeführt werden.Bedenken richten sich gegen die Mehrkosten für Neubauten. So sagt der Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU):

Bei Privathäusern, zum Beispiel von kleinen Häuslebauern, müssen wir allerdings sehr darauf achten, dass die Bauvorhaben durch zusätzliche Kosten nicht unmöglich werden", sagte Altmaier. Deshalb bin ich nicht unbedingt ein Freund einer Solarpflicht auf Dächern von Privathäusern.

Dem hält die Berliner Senatorin Ramona Popp (Die Grünen) entgegen, die Mehrkosten lägen im "kleinen und tolerierbaren Bereich".

Eine Solaranlage für ein Einfamilienhaus kostet der Senatorin zufolge 7.800 Euro – das seien im Durchschnitt rund drei Prozent der Gesamtkosten. Eine Anlage für ein Mehrfamilienhaus liege bei 20.000 Euro, was die Baukosten nur um ein Prozent verteuere.

Ich halte diese Argumente für falsch. Es wird gebaut, wenn sich dies lohnt, wenn also die Gesamtkosten (Grundstückskosten plus Baukosten) durch die Miete finanziert werden können. Die erzielbare Neubaumiete ergibt sich aus der Knappheitslage im jeweiligen Wohngebiet. Wenn für  ein gegebenes Objekt die Baukosten durch zusätzliche Erfordernisse wie etwa eine Solarpflicht erhöht werden und durch zusätzliche Einnahmen nicht amortisiert werden können, wird die Planung unrentabel. Es wird nicht gebaut. Damit das Grundstück bebaut werden kann, muss der Grundstückspreis entsprechend gesenkt werden.

Mit anderen Worten: Eine Solarpflicht geht nicht zu Lasten der Häuslebauer und Mieter, sondern zu Lasten der Grundstücksverkäufer. Der Häuslebauer wird beim Bestehen einer Solarpflicht sein Grundstück billiger bekommen, der Grundstücksverkäufer erhält weniger. Umgekehrt ist ein Verzicht auf Solarpflicht günstig für die Grundstücksverkäufer.

Nebenbei: Das hier für eine kleine Fragestellung herangezogene Argument ist wichtig im Georgismus.

Sonntag, 22. August 2021

Kosten für Solar- und Windenergie

 

Paul Krugman schreibt in der New York Times:

In den letzten zwölf Jahren haben wir ein technologisches Wunder erlebt. Wie in einem Artikel von MaxRoser sehr schön dokumentiert, sind die Kosten für Solar- und Windenergie, die einst als törichte Hippie-Phantasien abgetan wurden, so weit gesunken, dass recht bescheidene Anreize zu einem raschen Rückgang des Verbrauchs fossiler Brennstoffe führen könnten:


. . .





 

Dienstag, 18. Mai 2021

Paul Krugman: Die Rückkehr alter Irrtümer

 Paul Krugman schreibt in der New York Times:

Vor einigen Jahren habe ich versucht, eine Unterscheidung zwischen Zombie-Ideen und Kakerlaken-Ideen zu treffen. Zombie-Ideen sind solche, die durch Beweise hätten getötet werden sollen, aber einfach weiterleben und die Gehirne zerfressen. Bei Kakerlaken-Ideen handelt es sich um falschen Überzeugungen, die manchmal für eine Weile verschwinden, aber immer wieder zurückkommen.

In letzter Zeit bemerke ich eine zunehmende Plage von monetären Kakerlaken. Insbesondere höre ich viel davon, dass der mutwillige Missbrauch der Geldschöpfungsbefugnis der Zentralbank bald zu einer galoppierenden Inflation führen wird - oder vielleicht, dass wir bereits eine hohe Inflation erleben, die aber durch unehrliche Regierungsstatistiken verschleiert wird.

Vor einem Jahrzehnt gab es viel Gerede in dieser Richtung, aber es verblasste, als jedem klar wurde, dass eine Hyperinflation einfach nicht stattfinden würde. Jetzt ist es wieder da, und zwar aus mehreren Gründen.

Zum einen sehen wir eine tatsächliche Inflation, da eine sich erholende Wirtschaft auf Engpässe stößt - Engpässe bei Bauholz, Schiffscontainern, Gebrauchtwagen usw. Ich glaube, und die Zentralbank glaubt, dass diese Engpässe nur vorübergehend sind, dass es sich nur um einen Ausrutscher handelt und dass die Inflation wieder abklingen wird; aber wir könnten uns irren, und zumindest ist an dieser Sorge etwas dran.

Aber ein großer Teil der Gelddrucken-Panik kommt, glaube ich, von den Krypto-Leuten. Ich war in einer Reihe von ausgedehnten (und ausgesprochen höflichen) Diskussionen mit den Befürwortern von Bitcoin usw. und habe mein Bestes getan, unvoreingenommen zu bleiben. Bei diesen Diskussionen drängen Skeptiker wie ich immer wieder auf eine Antwort auf die Frage: "Welches Problem soll die Kryptowährung denn genau lösen?" Und irgendwann läuft die Antwort immer auf eine Version von "Fiat-Geld ist dem Untergang geweiht, weil die Zentralbank nicht aufhören wird, die Druckerpresse laufen zu lassen" hinaus.

Daher scheint es mir sinnvoll zu sein, darüber zu sprechen, warum dies eine wirklich schlechte Annahme ist, und in den letzten 40 Jahren auch immer war.

Um fair zu sein führt das Drucken riesiger Geldmengen, um die Rechnungen der Regierung zu bezahlen, tatsächlich zu einer hohen Inflation. Nehmen Sie das Beispiel Brasiliens in den frühen 1990er Jahren:

Ja, das Drucken von Geld kann Inflation verursachen. FRED

Aber nichts dergleichen ist in den USA passiert, selbst nicht in Zeiten, in denen Geldmengenaggregate wie M2 dramatisch gestiegen sind. Jeder, der behauptet, dass ein starker Anstieg von M2 eine steigende Inflation ankündigt, hat sich seit den 1980er Jahren immer wieder geirrt. Ich meine, wirklich, wirklich geirrt:

M2 ist seit Jahrzehnten nicht mehr viel wert. FRED

Warum?

Es gibt eigentlich zwei große Trugschlüsse in der Geschichte mit "Druckerpresse geht brrr -> Inflation".

Eine davon ist das, was ich als die Doktrin der unbefleckten Inflation bezeichne: die Vorstellung, dass eine Erhöhung der Geldmenge irgendwie direkt in Inflation umschlägt, ohne dabei eine wirtschaftliche Überhitzung zu verursachen. Viele Menschen sind im Laufe der Jahre auf diesen Trugschluss hereingefallen. Zu ihnen gehörte kein Geringerer als Milton Friedman. Er betrachtete das schnelle Wachstum der Geldmenge M1 in den frühen 1980er Jahren:


Friedman's Fehler. FRED

Und von 1982 bis 1985 sagte er wiederholt ein Wiederaufleben der Inflation voraus 8 Prozent für 1983, zweistellig für 1984, 8 bis 10 Prozent für 1985.

Offensichtlich geschah nichts davon. Stattdessen führte eine schlaffe Wirtschaft mit hoher Arbeitslosigkeit zu einer rückläufigen Inflation über den gesamten Zeitraum:


Inflation, nicht unbefleckt. FRED

Die heutigen Inflationistas wissen jedoch nichts von dieser Geschichte.

Der andere Trugschluss der modernen Inflationisten ist, dass sie nicht verstehen, wie sich die Rolle des Geldes in einer Welt mit sehr niedrigen Zinssätzen verändert, obwohl wir schon sehr lange in dieser Art von Welt leben.

Vor 2007 war es für die Menschen teuer, Geld zu halten, weil Bargeld keine Zinsen abwarf, während Bankeinlagen weniger als andere Vermögenswerte wie Schatzbriefe einbrachten. Die Menschen hielten Geld also nur wegen seiner Liquidität - der Tatsache, dass es leicht ausgegeben werden konnte. Als die Zuentralbank der USA die Geldmenge erhöhte, ließ sie der Öffentlichkeit mehr Liquidität, als sie wollte, so dass das Geld zum Kauf anderer Vermögenswerte verwendet wurde, was die Zinssätze nach unten trieb und zu höheren Gesamtausgaben führte.

Aber wenn die Zinsen sehr niedrig sind - was sie seit Jahren sind, weil es eine Schwemme von Ersparnissen im Verhältnis zu den wahrgenommenen Investitionsmöglichkeiten gibt - ist Geld am Rande nur ein weiterer Vermögenswert. Wenn die Zentralbank die Geldmenge erhöht, verspüren die Menschen kein dringendes Bedürfnis, das Geld für lukrativere Zwecke zu verwenden, sie bleiben einfach darauf sitzen. Die Geldmenge steigt, aber die Bruttowertschöpfung nicht, so dass die "Geschwindigkeit" des Geldes - das Verhältnis der Bruttowertschöpfung zur Geldmenge – sinkt:



Das Geld liegt heutzutage einfach da. FRED

Das sind keine neuen Erkenntnisse. Ich habe über all dies im Zusammenhang mit Japan in den 1990er Jahren geschrieben, und selbst das war hauptsächlich eine Formalisierung von Erkenntnissen, die viele Ökonomen seit Jahrzehnten vertreten hatten. Und obwohl es eine Weile gedauert hat, habe ich das Gefühl, dass die große Mehrheit der Wirtschaftskommentatoren um 2014 herum akzeptiert hat, dass die Betrachtung der Geldmenge im US-Kontext im Grunde keine Informationen über die zukünftige Inflation bietet.

Aber jetzt haben wir einen neuen Jahrgang von Finanztypen, vor allem, wie gesagt, Leute, die mit Krypto zu tun haben, die von all dem nichts wissen und, wie so oft bei Geldleuten, davon ausgehen, dass sie schon alles wissen. Wir haben also einen neuen Befall von monetären Kakerlaken, und alles muss wieder neu erklärt werden.



Sonntag, 30. August 2020

Der Trade-Off von Corona-Toten und Arbeitslosigkeit in den USA

David Hamermesh nimmt in seinem Beitrag Trading off lives for jobs zum Zuammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und den Corona-Sterbefällen wie folgt Stellung:
Es gibt einen Zielkonflikt - verlorene Leben gegen wirtschaftliche Verluste - im Hinblick auf die Lockerung der Beschränkungen für wirtschaftliche Aktivitäten während der Covid-19-Krise. Alle Wirtschaftswissenschaftler wissen das, obwohl es uns oft peinlich ist, öffentlich zu erklären, dass es dieses Dilemma gibt. Aber es ist sinnvoll, zu versuchen, dieser Zusammenhang zu messen, da dies Grundlage für die Entscheidung ist, vor der die politischen Entscheidungsträger stehen – ob sie bereit sind, dies anzuerkennen oder nicht. 
Ökonomen schätzen den Wert eines Lebens in den USA auf 10 Millionen Dollar (ich weiß, es klingt krass, dies zu tun). Diese Berechnung wurde unzählige Male von Regierungen bei der Entscheidung über Investitionen in verschiedene Bau- und andere Projekte herangezogen. Die beste Schätzung, die ich über die Zahl der während der Krise verlorenen Arbeitsplätze gesehen habe, geht davon aus, dass für jedes durch soziale Distanzierung, Unternehmensschließungen und ähnliche Maßnahmen gerettete Leben etwa 200 Arbeitsplätze verloren gehen.
Ein Leben, das für 200 verlorene Arbeitsplätze gerettet wird, mag wie ein inakzeptabler Kompromiss klingen, wie es für diejenigen eindeutig eindeutig erscheint, die auf eine rasche Wiedereröffnung der Volkswirtschaften drängen. Aber das Leben eines Menschen ist für immer verloren, während die 200 Arbeitsplätze vorübergehend verloren gehen, vielleicht höchstens ein halbes Jahr (was viel länger ist als die durchschnittliche Dauer von Arbeitslosigkeitszeiten in den USA). Wenn es sich bei dem Arbeitnehmer um den durchschnittlichen US-Arbeitnehmer handelt, der 40.000 USD/Jahr verdient, betragen die Kosten der verlorenen Arbeitsplätze pro gerettetem Leben 4 Millionen USD (200 Arbeitsplätze x 40.000 USD/Jahr x ½ Jahr). Vergleicht man die beiden Zahlen, 10 Millionen Dollar pro gerettetem Leben gegenüber 4 Millionen Dollar für verlorene Arbeitsplätze, so ist die richtige Wahl ziemlich klar - man sollte sich nicht beeilen, die Wirtschaft wieder zu öffnen.
Die meisten Todesopfer sind ältere Menschen, und viele Leute würden argumentieren, dass 10 Millionen Dollar ein zu hoher Wert des Lebens für jemanden in den 70er Jahren sind (obwohl ich im Alter von 76 Jahren vehement gegen dieses Argument protestiere!) Aber selbst wenn man 5 Millionen Dollar pro verlorenem Leben nimmt, übersteigt dies immer noch die wahrscheinlichen wirtschaftlichen Verluste in Form von Arbeitsplatzverlusten (und damit den Verlust von Gütern und Dienstleistungen). 
Ein weiteres Thema, das in dieser Diskussion zu oft ignoriert: Die verlorenen Leben sind nicht gleichmäßig über die Bevölkerung verteilt. Nicht nur alte Menschen, sondern auch Arme und Minderheiten sind unverhältnismäßig stark unter den Opfern von Covid-19 vertreten. Dies könnte einige Ökonomen veranlassen, ihre Schätzung des Wertes der verlorenen Leben noch weiter zu senken, aber selbst für einen Ökonomen wäre das äußerst extrem.
Darüber hinaus gehören viele derer, die für eine rasche Wiedereröffnung der Volkswirtschaften plädieren - zum Beispiel führende Politiker - zu den reichsten Menschen der Gesellschaft. Es ist unwahrscheinlich, dass die Wiedereröffnung der Wirtschaft sie und ihre wohlhabenden Freunde beeinträchtigen würde. Für die eigenen Vorteile einzutreten, für die andere die Kosten tragen müssen, lässt sich moralisch kaum vertreten.
Es ist vernünftig zu argumentieren, dass es einen Kompromiss zwischen dem Verlust eines Arbeitsplatzes und der Lebenserwartung gibt, sofern man die Vergleiche richtig anstellt. Dabei ist es falsch, die Tatsache zu ignorieren, dass die Lasten und Kosten nicht von allen gleichermaßen getragen werden, sondern dass der Verlust von Menschenleben unverhältnismäßig stark von den am Schwächeren getragen wird. Zwar können die wirtschaftlichen Verluste auch für Minderheiten und Arme unverhältnismäßig hoch sein, aber eine finanzielle Entschädigung durch staatliche Programme kann einen Großteil dieser Verluste kompensieren. Nichts kann aber die Verluste an Menschenleben ausgleichen.
Also: Selbst unter dem zynischen Gesichtspunkt einer Kosten-Nutzen-Analyse, bei der Leben mit Geld bewertet werden,  kann man eine Lockerung der Restriktionsmassnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus für die USA nicht befürworten - und schon gar nicht für Deutschland, wo die sozialen und wirtschaftlichen Kosten deutlich geringer sind als in den USA - man denke nur an das Kurzarbeitergeld, das es in den USA nicht gibt.

Mir scheint dass die Kritiker an den Corona-Einschränkungen, ähnlich wie die Klima-Skeptiker, hochgradig  irrational und emotional agieren, (auch die Professoren unter ihnen): Sie wollen diese Probleme einfach nicht wahr haben und weigern sich, die Möglichkeit eines Lebens mit den Corona-Restriktionen für einige weitere Monate oder Jahre in Betracht zu ziehen, falls dies erforderlich sein sollte. Sie leugnen deshalb diese realen Gefahren und versuchen ihre Leugnung durch Handlungen zu untermauern, nach dem Motto: Ich gehe durch den Wald und habe Angst, aber  sage fortwährend laut zu mir: "Ich habe keine Angst, ich habe keine Angst, ...." bis ich es selbst glaube - und dann überfallen werde.

Mit anderen Worten: Ich sehe die Corona-Proteste als Bestärkung einer emotional entlastenden Selbsttäuschung durch affirmative Rituale, als Realitätsverleugnung.

Ein irisches Sprichwort sagt: Niemand ist so blind wie diejenigen, die nicht sehen wollen.

Mittwoch, 17. Juni 2020

Preise für Corona-Tests in der freien Marktwirtschaft der USA


Gibson Diagnostic Labs in Irving, Texas
(Dylan Hollingsworth für The New York Times)
 Die New York Times berichtete am 16.Juni:
In einem einstöckigen Backsteingebäude im Vorort von Dallas, zwischen einer Zahnarztpraxis und einer Klinik für Familienmedizin, befindet sich ein medizinisches Labor, das einige der teuersten Coronavirus-Tests in Amerika durchgeführt hat.
Die Versicherer haben Gibson Diagnostic Labs bis zu 2.315 Dollar für einzelne Coronavirus-Tests gezahlt. ... Das Unternehmen verfügt über keine spezielle oder andere Technologie als beispielsweise große Diagnostiklabors, die 100 Dollar verlangen. ... Wie kann ein einfacher Coronavirus-Test in einem Labor 100 Dollar kosten und in einem anderen 2.200 Prozent mehr? Dies ergibt sich aus einer grundlegende Gegebenheit des amerikanischen Gesundheitssystems zurück: Die Regierung reguliert die Gesundheitspreise nicht.
Manche Krankenkassen müssen solche Testkosten eben erstatten, wenn sie in Rechnung gestellt werden.....
Angesichts derartiger Fehlentwicklungen sollte man vielleicht die jetzige Regelung in Deutschland genauer überdenken.