Beim drohenden Kita-Streik oder seiner Abwendung wird von den Beschäftigten in den Bildungs-, Sozial- und Erziehungsberufen eine Aufwertung und Höherbezahlung angestrebt. In der Tat ist die Bezahlung im Vergleich zu anderen Tätigkeiten recht gering (Erzieher 2228 €, Wartungs- und Servicetechniker im Maschinenbau 3282 €). Woran liegt das?
Eine Antwort wäre: Frauendiskriminierung, denn der Frauenanteil in den
Care-Berufen, wie man diese kurz bezeichnen könnte, ist sehr hoch. Aber
eine solche Antwort verschiebt nur die Problematik auf die Frage, warum
Frauen schlechter bezahlt werden als Männer.
Ich denke aber, dass der hohe Frauenanteil nur eine der Ursachen für die
Geringbezahlung von Care-Tätigkeiten ist. Selbst wenn der Männeranteil
in diesen Berufen genauso hoch wäre wie anderswo, würde ich eine
geringere Bezahlung der Care-Berufen erwarten, einfach deshalb, weil
der Wirkungsmechanismus, der zur Frauendiskriminierung führt, nicht auf
der Unterscheidung Frauen/Männer beruht, sondern auf Verhaltensweisen,
die zwar mit dem Geschlecht, aber auch mit anderen Dingen, wie etwa den
Präferenzen, wie sie sich bei der Berufswahl ausdrücken, korrelieren.
Ich habe das in meinem Artikel ausführlich
dargelegt. Dieser Artikel ist jedoch für Fachwissenschaftler
geschrieben und für das allgemeine Publikum wahrscheinlich eher
unverständlich. Deshalb hier ein Versuch, das Kernargument für Laien
verständlich darzulegen.
Der Grundgedanke ist, dass die Lohnreagibilität des Arbeitsangebots von
zentraler Bedeutung für die Lohnbildung ist. Der Begriff
"Lohnreagibilität" bezieht sich dabei auf das Ausmass, in dem
Arbeitskräfte auf die Unterschiede von Lohnangeboten zu reagieren.
Manche Arbeitskräfte legen mehr Gewicht auf das erzielbare Einkommen und
das damit verbundene soziale Prestige, andere legen mehr Gewicht auf
andere Jobattribute, wie etwa Nähe zum Wohnsitz, günstige Arbeitszeiten,
Freude an der Tätigkeit selbst, oder die gesellschaftliche Bedeutung
ihrer Tätigkeit. Das führt zu Unterschieden bei der Lohnreagibilität
zwischen verschiedenen Gruppen von Beschäftigten.
Betrachten wir zunächst wie die Lohndiskriminierung von Frauen gegenüber
Männern mit der unterschiedlichen Lohnreagibilität von Frauen und
Männern zusammenhängt. Bei der herkömmlichen sozialen Rollenverteilung
sind die Frauen in stärkerem Ausmaß für die Kinder und den Haushalt
verantwortlich. Deshalb werden Frauen auf nicht-monetäre Jobattribute,
wie etwa Nähe zum Wohnsitz, familienfreundliche Arbeitszeiten oder auch
das Vorhandensein von betrieblicher Kinderbetreuung, mehr Wert legen als
Männer. Sie werden deshalb weniger lohnreagibel sein als die Männer.
Für die Lohnsetzung der Unternehmung spielt aber die Lohnreagibilität
eine zentrale Rolle. Bei hoher Lohnreagibilität wird ein höheres
Lohngebot zu einem großen Zuwachs von Bewerbern führen. Das ermöglicht
der Unternehmung dann, die besten der Bewerber auszuwählen und so eine
bessere Belegschaft zu erhalten als die Konkurrenz, die weniger zahlt.
Das gilt aber auch für die konkurrierenden Unternehmungen. Letztlich
bildet sich in dem Bemühen um wechselseitiges Überbieten der
Unternehmungen bei den Lohngeboten zwecks wechselseitiger Verbesserung
der Auswahlmöglichkeiten bei den Mitarbeitern ein Lohnniveau, das höher
ausfällt als bei geringer Lohnreagibilität der Bewerber als Gruppe
betrachtet. Entsprechend würden die Unternehmungen ohne
Diskriminierungsverbot die weiblichen Bewerbern weniger bieten als den
Männern.
Mit Diskriminierungsverbot muss man mit dem gleichen Argument erwarten,
dass Tätigkeiten, in denen der Frauenanteil höher ist als in anderen,
die Frauendiskriminierung bei der Entlohnung entsprechend ausgeprägter
ist.
Dieses Argument gilt aber auch, wenn es nicht um die
Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen geht, sondern um
Verhaltensunterschiede, die zwischen Menschen bestehen, welche eine
unterschiedliche Berufswahl treffen. Wenn diejenigen, die sich für
bestimmte Berufe entscheiden, als Gruppe eine niedrigere
Lohnreagibilität aufweisen als andere Gruppen, werden diese Berufe
schlechter bezahlt werden. Wenn wir der Einfachheit halber bei den
gängigen Stereotypen bleiben, werden deshalb die im Marketing Tätigen
höher bezahlt werden als die im Care-Bereich, weil bei den
Marketing-Typen die finanziellen Motive stärker im Vordergrund stehen
als bei den Care-Typen, deren Motivationslage anders (eher
"intrinsisch") ist.
Mit anderen Worten: Diejenigen, die mehr hinter dem Geld her als andere werden letztlich auch mehr verdienen, selbst wenn die Fähigkeiten
und Tätigkeiten in jeder relevanten Hinsicht völlig gleichartig sind.
Dabei sollte angemerkt werden, dass die höhere "Produktivität" der
Marketing-Typen keine Rechtfertigung für deren höhere Entlohnung sein
kann, denn die gemessenen "Produktivität" von Marketing-Typen wird
allein deshalb höher sein als von Care-Typen, weil die Produkte von
M-Typen aufgrund der höheren Lohnkosten teurer sind und damit die
Wertschöpfung von M-Typen höher ist als die von C-Typen. Dies gilt auch
dann, wenn Tätigkeiten beider Gruppen als solche absolut vergleichbar
wären. Derartige Produktivitätsargumente sagen nichts über den
volkswirtschaftlichen Nutzen von Lohnunterschieden; wenn diese auf
Unterschieden in der Lohnreagibilität beruhen.
Ferner ist die Entlohnung, die sich auf diese Weise im freien Markt
bildet, "ineffizient", denn unter rein ökonomischen Gesichtspunkten
sollte gleiche Arbeit gleich entlohnt werden; die Lohnreagibilität
sollte für die Lohnhöhe keine Rolle spielen. Ich habe das
verschiedentlich, z.B. hier und hier dargelegt.
Wirtschaftspolitisch kann man nur wenig gegen derartige Lohnunterschiede
zwischen (plakativ gesprochen) Marketing- und Care-Bereich
unternehmen. Man kann jedoch durch eine hohe Progression der Lohn- und
Einkommenssteuer die Fehlentwicklung abschwächen, denn ein Teil von
höheren Lohngeboten würde dann wegbesteuert und die Lohnreagibilität
würde, aus Sicht der Unternehmungen, vermindert. Auch eine Stärkung der
kollektiven Lohnsetzung kann helfen, denn diese orientiert sich stark an
Gerechtigkeitsgesichtspunkten, welche im Arbeitsmarkt typischerweise in
ähnliche Richtung weisen wie Effizienzerfordernisse. Ich habe versucht,
diesen Zusammenhang hier allgemeinverständlich darzulegen.
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