Donnerstag, 1. Oktober 2015

Warum Sozialberufe schlechter bezahlt werden

Beim drohenden Kita-Streik oder seiner Abwendung wird von den Beschäftigten in den Bildungs-, Sozial- und Erziehungsberufen eine Aufwertung und Höherbezahlung angestrebt. In der Tat ist die Bezahlung im Vergleich zu anderen Tätigkeiten recht gering (Erzieher 2228 €, Wartungs- und Servicetechniker im Maschinenbau 3282 €). Woran liegt das?

Eine Antwort wäre: Frauendiskriminierung, denn der Frauenanteil in den Care-Berufen, wie man diese kurz bezeichnen könnte, ist sehr hoch. Aber eine solche Antwort verschiebt nur die Problematik auf die Frage, warum Frauen schlechter bezahlt werden als Männer.

Ich denke aber, dass der hohe Frauenanteil nur eine der Ursachen für die Geringbezahlung von Care-Tätigkeiten ist. Selbst wenn der Männeranteil in diesen Berufen genauso hoch wäre wie anderswo, würde ich eine geringere Bezahlung der Care-Berufen erwarten, einfach deshalb, weil der  Wirkungsmechanismus, der zur Frauendiskriminierung führt, nicht auf der Unterscheidung Frauen/Männer beruht, sondern auf Verhaltensweisen, die zwar mit dem Geschlecht, aber auch mit anderen Dingen, wie etwa den Präferenzen, wie sie sich bei der Berufswahl ausdrücken, korrelieren. Ich habe das in meinem Artikel ausführlich dargelegt. Dieser Artikel ist jedoch für Fachwissenschaftler geschrieben und für das allgemeine Publikum wahrscheinlich eher unverständlich. Deshalb hier ein Versuch, das Kernargument für Laien verständlich darzulegen.

Der Grundgedanke ist, dass die Lohnreagibilität des Arbeitsangebots von zentraler Bedeutung für die Lohnbildung ist. Der Begriff "Lohnreagibilität" bezieht sich dabei auf das Ausmass, in dem Arbeitskräfte auf die Unterschiede von Lohnangeboten zu reagieren. Manche Arbeitskräfte legen mehr Gewicht auf das erzielbare Einkommen und das damit verbundene soziale Prestige, andere legen mehr Gewicht auf andere Jobattribute, wie etwa Nähe zum Wohnsitz, günstige Arbeitszeiten, Freude an der Tätigkeit selbst, oder die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Tätigkeit. Das führt zu Unterschieden bei der Lohnreagibilität zwischen verschiedenen Gruppen von Beschäftigten.

Betrachten wir zunächst wie die Lohndiskriminierung von Frauen gegenüber Männern mit der unterschiedlichen  Lohnreagibilität von Frauen und Männern zusammenhängt. Bei der herkömmlichen sozialen Rollenverteilung sind die Frauen in stärkerem Ausmaß für die Kinder und den Haushalt verantwortlich. Deshalb werden Frauen auf nicht-monetäre Jobattribute, wie etwa Nähe zum Wohnsitz, familienfreundliche Arbeitszeiten oder auch das Vorhandensein von betrieblicher Kinderbetreuung, mehr Wert legen als Männer. Sie werden deshalb weniger lohnreagibel sein als die Männer.

Für die Lohnsetzung der Unternehmung spielt aber die Lohnreagibilität eine zentrale Rolle. Bei hoher Lohnreagibilität wird ein höheres Lohngebot zu einem großen Zuwachs von Bewerbern führen. Das ermöglicht der Unternehmung dann, die besten der Bewerber auszuwählen und so eine bessere Belegschaft zu erhalten als die Konkurrenz, die weniger zahlt. Das gilt aber auch für die konkurrierenden Unternehmungen. Letztlich bildet sich in dem Bemühen um wechselseitiges Überbieten der Unternehmungen bei den Lohngeboten zwecks wechselseitiger Verbesserung der Auswahlmöglichkeiten bei den Mitarbeitern ein Lohnniveau, das höher ausfällt als bei geringer Lohnreagibilität der Bewerber als Gruppe betrachtet. Entsprechend würden die Unternehmungen ohne Diskriminierungsverbot die weiblichen Bewerbern weniger bieten als den Männern.

Mit Diskriminierungsverbot muss man mit dem gleichen Argument erwarten, dass Tätigkeiten, in denen der Frauenanteil höher ist als in anderen, die Frauendiskriminierung bei der Entlohnung entsprechend ausgeprägter ist.

Dieses Argument gilt aber auch, wenn es nicht um die Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen geht, sondern um Verhaltensunterschiede, die zwischen Menschen bestehen, welche eine unterschiedliche Berufswahl treffen. Wenn diejenigen, die sich für bestimmte Berufe entscheiden, als Gruppe eine niedrigere Lohnreagibilität aufweisen als andere Gruppen, werden diese Berufe schlechter bezahlt werden. Wenn wir der Einfachheit halber bei den gängigen Stereotypen bleiben, werden deshalb die im Marketing  Tätigen  höher bezahlt werden als die im Care-Bereich, weil bei den Marketing-Typen die finanziellen Motive stärker im Vordergrund stehen als bei den Care-Typen, deren Motivationslage anders (eher "intrinsisch") ist.

Mit anderen Worten: Diejenigen, die mehr hinter dem Geld her als andere werden letztlich auch mehr verdienen, selbst wenn die Fähigkeiten und Tätigkeiten in jeder relevanten Hinsicht völlig gleichartig sind.

Dabei sollte angemerkt werden,  dass die höhere "Produktivität" der Marketing-Typen keine Rechtfertigung für deren höhere Entlohnung sein kann, denn die gemessenen "Produktivität" von Marketing-Typen wird allein deshalb höher sein als von Care-Typen, weil die Produkte von M-Typen aufgrund der höheren Lohnkosten teurer sind und damit die Wertschöpfung von M-Typen höher ist als die von C-Typen. Dies gilt auch dann, wenn Tätigkeiten beider Gruppen als solche absolut vergleichbar wären. Derartige Produktivitätsargumente sagen nichts über den volkswirtschaftlichen Nutzen von Lohnunterschieden; wenn diese auf Unterschieden in der Lohnreagibilität beruhen.

Ferner ist die Entlohnung, die sich auf diese Weise im freien Markt bildet, "ineffizient", denn unter rein ökonomischen Gesichtspunkten sollte gleiche Arbeit gleich entlohnt werden; die Lohnreagibilität sollte für die Lohnhöhe keine Rolle spielen. Ich habe das verschiedentlich, z.B. hier  und hier dargelegt.

Wirtschaftspolitisch kann man nur wenig gegen derartige Lohnunterschiede zwischen (plakativ gesprochen) Marketing- und Care-Bereich unternehmen.  Man kann jedoch durch eine hohe Progression der Lohn- und Einkommenssteuer die Fehlentwicklung abschwächen, denn ein Teil von höheren Lohngeboten würde dann wegbesteuert und die Lohnreagibilität würde, aus Sicht der Unternehmungen, vermindert. Auch eine Stärkung der kollektiven Lohnsetzung kann helfen, denn diese orientiert sich stark an Gerechtigkeitsgesichtspunkten, welche im Arbeitsmarkt typischerweise in ähnliche Richtung weisen wie Effizienzerfordernisse. Ich habe versucht, diesen Zusammenhang hier allgemeinverständlich darzulegen. 


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