Sehr geehrter Herr Häring,
sie haben mit Ihren Bedenken völlig recht: Die Finanzierung und Durchführung dringender Infrastrukturinvestitionen wäre billiger und effizienter, wenn staatliche Stellen die Finanzierung, Planung, Ausschreibung und Durchführung übernehmen und überwachen würden. Das Problem dabei ist nur, dass dies nicht ohne staatliche Kreditaufnahme möglich ist, was die Schuldenbremse (und die Maastricht-Kriterien) verletzen würde.
Wenn die Schuldenbremse aufrecht erhalten wird, muss sie umgangen werden, denn die notwendigen Investitionen lassen sich nicht ohne Kreditaufnahme finanzieren. Das ist wohl die (nachvollziehbare) Einsicht von Schäuble und Gabriel, die hinter den Privatisierungsabsichten steht.
Mit anderen Worten: All Ihre Bedenken (die ich teile) werden nichts bewirken, solange die Schuldenbremse nicht fällt. Diesen Gesichtspunkt vermisse ich bei Ihren Beiträgen.
Die Schuldenbremse sollte fallen und wieder durch die alte Grundgesetz-Regelung ersetzt werden ("Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten").
Eine Abschaffung der Schuldenbremse würde nicht nur die Fehlanreize zur bedingungslosen Privatisierung und Kommerzialisierung unserer Infrastruktur beseitigen sondern zugleich auch sinnvolle Konjunkturpolitik möglich machen anstatt völlig unsinnige pro-zyklische Konjunkturpolitik zu erzwingen, wie das bei der Schuldenbremse der Fall ist. Wir sehen das ja im Augenblick: Die staatlichen Einnahmen steigen. Das führt zu steigenden staatlichen Ausgaben. Es wäre besser gewesen, in den letzten fünf Jahren Infrastrukturprogramme mittels Kreditaufnahme zu tätigen und nunmehr ohne Ausweitung der Staatsaugaben aus den gewachsenen Staatseinnahmen zu finanzierern. Dann hätte man jetzt auch nicht die Probleme, die durch mangelnde Infrastrukturinvestitionen entstanden sind, und man hätte in der Zwischenzeit bessere Beschäftigung und bessere Staatseinnahmen gehabt.
Wenn man den Politikern nicht zutraut Eventualhaushalte auf den Weg zu bringen, die besser funktieren als die durch die Schuldenbremse erzwungene Politik, sollte man eine quasi-autonome Bundesbehörde einsetzen, die das Timing von Infrastrukturausgaben kontrolliert und so eine vernünftige Infrastruktur- und Konjunkturpolitik zugleich ermöglicht.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkehart Schlicht
Mittwoch, 1. April 2015
Zum Autobahnraub
Norbert Häring weist in einer Reihe von Blogs (hier, hier, hier, hier, hier) darauf hin, dass die von Schäuble und Gabriel anvisierte Finanzierung der anstehenden Infrastrukturinvestitionen ein teurer Spaß ist, massive Fehlanreize schafft und letzlich eine massive Subventionierung der Finanzindustrie bedeutet. Ich habe ihm dazu folgende Anmerkung geschickt:
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Grundsätzlich teile ich Ihre Ansicht, dass die Perspektive von Herrn Häring zu eng ist. Ich verstehe aber auch seine vermutliche Strategie: Als gewandter Blogger fokussiert er auf den Autobahnraub, weil das ein auch für ökonomische Laien verständlicher Skandal ist. Würde
AntwortenLöschener über Staatsverschuldung schreiben, sähe er sich schnell verstrickt in eine Debatte, in der Verstand und Logik keine Chance haben gegen den Mist, der von Medien und - leider auch akademischen Ökonomen - seit Jahren auf die Laien ausgeschüttet wird.
Genau deswegen geht mir Ihr Vorschlag, die Schuldenbremse zu streichen, nicht weit genug. Wie Herr Häring in einem seiner Blogs und in seinen
Büchern sehr nachvollziebar erläutert, steht der akademische Mainstream offensichtlich im Dienst der Mächtigen, heute mehr als noch vor 50 Jahren.
Dasselbe gilt für Parteien und Politiker, die heute sehr viel stärker als früher von extrem mächtigen Lobbygruppen manipuliert
und korrumpiert werden. Deswegen ist nicht zu erwarten, dass Ihre logisch und inhaltlich schlagenden Argumente bei diesen
Gruppen Gehör finden werden. Vernunftargumente werden nur nach einer drastische Reform unserer politischen Institutionen eine Chance haben.
Vielen Dank dass Sie diese Probleme aufgreifen. Ich bin in einigen Punkten aber anderer Auffassung.
Löschen1. Es mag richtig sein, dass Herr Häring als "gewandter Blogger" das heiße Eisen der Schuldenbremse unberührt läßt. Wenn man aber die Schuldenbremse akzeptiert (was auch Vorgabe für die Expertenkommission war) ist der Autobahnraub vielleicht die bestmögliche Alternative - jedenfall besser als keine Infrastrukturinvestitionen, und insofern eigentlich kein Skandal. Der Skandal ist die Schuldenbremse, die staatliche Investitionen blockiert.
2. Mein Vorschlag war nicht, die Schuldenbremse einfach zu streichen, sondern sie durch die alte Grundgesetzregelung zu ersetzen.
3. Ich bin seit 1976 Professor an verschiedenen Universitäten gewesen und kenne meine Kollegen und den Mainstream (zu dem ich nie gehört habe) recht gut. Von Ausnahmen abgesehen stehen die Professoren gewiss nicht bewusst "im Dienst der Mächtigen". Die meisten folgen der akademischen Mode, was insofern verständlich ist, als jeder sich sehr spezialisiert und nur wenige in der Lage sind zu sehen, dass verschiedenen sich widersprechende theoretische Ansätze jeder für sich einen sinnvollen Kern besitzen. So schwanken Sie dann zwischen den Extremen.
2. Im Augenblick, so denke ich, würde eine drastische Reform unserer politischen Institutionen eher in die falsche Richtung gehen, siehe Schuldenbremse. Vernunftargumente könnten jedoch auch dann eine Chance haben, wenn man sonst nicht weiterkommt.
Übrigens hat Herr Häring offenbar ähnliche (vernünftige) Ansichten zu Staatsschulden wie Sie. Wenigstens schreibt er Vernünftiges in seinem Buch "So funktioniert die Wirtschaft" auf den Seiten 203 ff.
AntwortenLöschenWas auf S. 209 unten steht ist nicht ganz zutreffend. Es kann notwendig sein, sich höher zu verschulden als die Maastricht-Kriterien dies erlauben. Das zwingt dann zur Expansion der Staatsausgaben oder zu Praktiken wie beim Autobahraub. Die Masstricht-Kriterien sind völlig willkürlich. Siehe dazu meinen Blog http://funktionalestaatsfinanzen.blogspot.de/2013/04/warum-staatsverschuldung-expansiv-wirkt_19.html und den dort zitierten Hintergrundaufsatz.
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