Dienstag, 10. Dezember 2013

Ergänzung zu Volker Casparis Bemerkungen zum Mindestlohn

Lieber Volker Caspari,

ich wollte eine Ergänzung zu Ihrem Kommentar verfassen. Die ist aber länger geraten als  die Blogger-Software das für Antworten akzeptiert. Deshalb hier meine leider etwas langatmig gewordenen ergänzenden Bemerkungen:

Wenn die Haushalte ihre Gaststättenbesuche einschränken und ihr Bier zu Hause trinken, haben sie weniger Ausgaben für Gaststättenbesuche. Das Eingesparte können sie entweder sparen oder anderweitig ausgeben. Wenn sie tatsächlich mehr sparen wäre die Situation wohl etwa so, wie Sie es beschreiben und wie sie auch meistens dargestellt wird.

Das Argument berücksichtigt aber noch nicht die weiteren Wirkungen der Einsparung bei Gaststättenbesuchen bezüglich anderer Ausgaben. Unter diesem Gesichtspunkt muss die Skepsis bezüglich mancher Haltungen zum Mindestlohn nur noch größer werden.

Es ist wohl so, dass die Haushalte das Eingesparte nicht einfach sparen sondern anderweitig ausgeben Dann entsteht anderweitig zusätzliche Nachfrage, die dann anderweitig zu zusätzlicher Beschäftigung führt. Vielleicht leisten die Haushalte sich mit dem Eingesparten eine etwas bessere Ausstattung ihres neuen Autos. Dann ist die Frage: Ist diese zusätzliche Beschäftigung geringer, gleich oder größer als der Beschäftigungsrückgang bei den Gaststätten aufgrund des wegen Mindestlohn erhöhten Lohnes? Man könnte denken, dass die zusätzliche Beschäftigung anderweitig höhere Lohnkosten pro Beschäftigten bedingt als bei der ausgefallenen Beschäftigung, und dass deshalb weniger zusätzliche Beschäftigung erfolgt als ursprünglich entfallen ist. Das ist aber keineswegs notwendigerweise so, denn die höher bezahlten Arbeitsplätze erfordern weitaus höhere Investitionen pro Arbeitsplatz. Die aus der zusätzlichen Nachfrage für Autoausstattung abgeleitete Nachfrage ist die zusätzliche Arbeitsnachfrage in der Automobilindustrie und die zusätzliche abgeleitete Nachfrage nach Ausstattung dieser Arbeitsplätze. Dies hat wieder Beschäftigungswirkungen bei den Branchen zur Folge, die die Ausstattung dieser Arbeitsplätze produzieren, u.s.w. (Natürlich müsste man entsprechend auch in dem ursprünglichen Argument beim Ausfall von Beschäftigung im Gaststättengewerbe den abgeleiteten Beschäftigungsausfall bei den Zulieferern des Gaststättengewerbes berücksichtigen.)

Letztlich ist die Beschäftigungswirkung aufgrund der Verlagerung der Nachfrage, wie sie möglicherweise durch einen Mindestlohn erfolgen könnte, unklar. In einem Input-Output-Kontext könnte ein höherer Mindestlohn ebenso zu einer höheren wie auch einer geringeren Beschäftigung führen. Man müsste wirklich eine sorgfältige Input-Output-Analyse machen wenn man irgendetwas Substantielles sagen wollte. Interessanterweise wird das nicht gemacht.

Ich selbst hätte die Erwartung, dass eine solche Analyse praktisch keine Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes aufzeigen würde, selbst wenn im Gaststättengewerbe deutliche Beschäftigungswirkungen eintreten würden,  aber das ist eine reine Vermutung die sich allein auf meine Erinnerung an eine entsprechende Input-Output-Analysen des DIW aus den achtziger Jahren stützt. Aber wie dem auch sei, ich erwarte keine wesentlichen Beschäftigungswirkungen durch den Mindestlohn. Eine definitive Aussage zu den Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes steht auf jeden Fall noch aus, ungeachtet der definitiven Äußerungen des Sachverständigenrats, die ich für völlig aus der Luft gegriffen halte.

Vielleicht  sollte ich noch anmerken, dass meine grundsätzliche Sympathie für den Mindestlohn mit den (wohl eher nicht vorhandenen) negativen Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes nur wenig zu tun hat. Ich denke eher, dass die Lohnstruktur (also die Differenz zwischen den Entlohnung verschiedener Tätigkeiten) sowohl unter Gerechtigkeits- als auch unter Effizienzgesichtspunkten zu stark gespreizt ist. (Die Lohndifferentiale sind zu groß.) Die empirischen Studien weisen nun aber darauf hin, dass ein Mindestlohn die Lohnstruktur zumindest im unteren Bereich staucht, also die Lohnspreizung verringert. Das ist sowohl unter Effizienzgesichtspunkten als auch unter Gerechtiglkeitsaspekten zu befürworten, völlig unabhängig von den (wohl eher nicht vorhandenen) Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes. (Siehe dazu auch meinenBeitrag.)

Wie Sie richtig bemerken ist die Arbeitsnachfrage eine aus der Nachfrage für Güter und Dienste abgeleitete Nachfrage, die einfach durch expansive Nachfragepolitik geschaffen werden kann. Deshalb sollte die Mindestlohnfrage m.E. nicht unter Beschäftigungsgesichtspunkten sondern unter Allokationsgesichtspunkten behandelt werden.

1 Kommentar:

  1. Lieber Ekkehart Schlicht,
    es gibt noch einen Aspekt: Stichwort "Speenhamland Gesetz". Ohne Mindestlohn können Unternehmen quasi Verträge zu Lasten Dritter (Sozialsystem) machen.(Polanyi, Great Transformation) Das entspricht ja auch nicht gerade üblichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Und letzter Punkt meinerseits: Die klassischen Ökonomen (Smith, Ricardo, Malthus) hatten eine Theorie des "natürlichen" Lohns. Wenn dieser herrscht, dann kann sich der Arbeiter reproduzieren. Wenn Unternehmen mit Preisen unterhalb der kurzfristigen variablen Durchschnittskosten produzieren müssten, spricht man von ruinöser Konkurrenz. Wenn das auf Arbeitsmärkten geschähe, würde der klassische Ökonom auch von Löhnen unterhalb des "natürlichen" Niveaus sprechen - mit langfristig schädlichen Allokations- und Reproduktionswirkungen.

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