Lieber Volker Caspari,
ich wollte eine Ergänzung zu Ihrem Kommentar verfassen. Die ist aber länger geraten als die Blogger-Software das für Antworten akzeptiert. Deshalb hier meine leider etwas langatmig gewordenen ergänzenden Bemerkungen:
Wenn die Haushalte ihre
Gaststättenbesuche einschränken und ihr Bier zu Hause trinken,
haben sie weniger Ausgaben für Gaststättenbesuche. Das Eingesparte
können sie entweder sparen oder anderweitig ausgeben. Wenn sie
tatsächlich mehr sparen wäre die Situation wohl etwa so, wie Sie es
beschreiben und wie sie auch meistens dargestellt wird.
Das Argument berücksichtigt aber noch
nicht die weiteren Wirkungen der Einsparung bei Gaststättenbesuchen
bezüglich anderer Ausgaben. Unter diesem Gesichtspunkt muss die
Skepsis bezüglich mancher Haltungen zum Mindestlohn nur noch größer
werden.
Es ist wohl so, dass die Haushalte das
Eingesparte nicht einfach sparen sondern anderweitig ausgeben Dann
entsteht anderweitig zusätzliche Nachfrage, die dann anderweitig zu
zusätzlicher Beschäftigung führt. Vielleicht leisten die
Haushalte sich mit dem Eingesparten eine etwas bessere Ausstattung
ihres neuen Autos. Dann ist die Frage: Ist diese zusätzliche
Beschäftigung geringer, gleich oder größer als der
Beschäftigungsrückgang bei den Gaststätten aufgrund des wegen
Mindestlohn erhöhten Lohnes? Man könnte denken, dass die
zusätzliche Beschäftigung anderweitig höhere Lohnkosten pro
Beschäftigten bedingt als bei der ausgefallenen Beschäftigung, und
dass deshalb weniger zusätzliche Beschäftigung erfolgt als
ursprünglich entfallen ist. Das ist aber keineswegs notwendigerweise so, denn die
höher bezahlten Arbeitsplätze erfordern weitaus höhere
Investitionen pro Arbeitsplatz. Die aus der zusätzlichen Nachfrage
für Autoausstattung abgeleitete Nachfrage ist die zusätzliche
Arbeitsnachfrage in der Automobilindustrie und die zusätzliche
abgeleitete Nachfrage nach Ausstattung dieser Arbeitsplätze.
Dies hat wieder Beschäftigungswirkungen bei den Branchen zur Folge,
die die Ausstattung dieser Arbeitsplätze produzieren, u.s.w.
(Natürlich müsste man entsprechend auch in dem ursprünglichen
Argument beim Ausfall von Beschäftigung im Gaststättengewerbe den
abgeleiteten Beschäftigungsausfall bei den Zulieferern des
Gaststättengewerbes berücksichtigen.)
Letztlich ist die Beschäftigungswirkung
aufgrund der Verlagerung der Nachfrage, wie sie möglicherweise durch
einen Mindestlohn erfolgen könnte, unklar. In einem
Input-Output-Kontext könnte ein höherer Mindestlohn ebenso zu einer
höheren wie auch einer geringeren Beschäftigung führen. Man müsste
wirklich eine sorgfältige Input-Output-Analyse machen wenn man
irgendetwas Substantielles sagen wollte. Interessanterweise wird das
nicht gemacht.
Ich selbst hätte die Erwartung, dass
eine solche Analyse praktisch keine Beschäftigungswirkungen eines
Mindestlohnes aufzeigen würde, selbst wenn im Gaststättengewerbe deutliche Beschäftigungswirkungen eintreten würden, aber das ist eine reine Vermutung die
sich allein auf meine Erinnerung an eine entsprechende
Input-Output-Analysen des DIW aus den achtziger Jahren stützt. Aber
wie dem auch sei, ich erwarte keine wesentlichen
Beschäftigungswirkungen durch den Mindestlohn. Eine definitive
Aussage zu den Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes steht auf
jeden Fall noch aus, ungeachtet der definitiven Äußerungen des Sachverständigenrats, die ich für völlig aus der Luft gegriffen
halte.
Vielleicht sollte ich noch anmerken,
dass meine grundsätzliche Sympathie für den Mindestlohn mit den
(wohl eher nicht vorhandenen) negativen Beschäftigungswirkungen
eines Mindestlohnes nur wenig zu tun hat. Ich denke eher, dass die Lohnstruktur (also die Differenz zwischen den Entlohnung verschiedener
Tätigkeiten) sowohl unter Gerechtigkeits- als auch unter
Effizienzgesichtspunkten zu stark gespreizt ist. (Die Lohndifferentiale
sind zu groß.) Die empirischen Studien weisen nun aber darauf hin, dass ein
Mindestlohn die Lohnstruktur zumindest im unteren Bereich staucht,
also die Lohnspreizung verringert. Das ist sowohl unter Effizienzgesichtspunkten als auch unter Gerechtiglkeitsaspekten
zu befürworten, völlig unabhängig von den (wohl eher nicht
vorhandenen) Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes. (Siehe
dazu auch meinenBeitrag.)
Wie Sie richtig bemerken ist die
Arbeitsnachfrage eine aus der Nachfrage für Güter und Dienste abgeleitete
Nachfrage, die einfach durch expansive Nachfragepolitik geschaffen
werden kann. Deshalb sollte die Mindestlohnfrage m.E. nicht unter
Beschäftigungsgesichtspunkten sondern unter
Allokationsgesichtspunkten behandelt werden.
Lieber Ekkehart Schlicht,
AntwortenLöschenes gibt noch einen Aspekt: Stichwort "Speenhamland Gesetz". Ohne Mindestlohn können Unternehmen quasi Verträge zu Lasten Dritter (Sozialsystem) machen.(Polanyi, Great Transformation) Das entspricht ja auch nicht gerade üblichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Und letzter Punkt meinerseits: Die klassischen Ökonomen (Smith, Ricardo, Malthus) hatten eine Theorie des "natürlichen" Lohns. Wenn dieser herrscht, dann kann sich der Arbeiter reproduzieren. Wenn Unternehmen mit Preisen unterhalb der kurzfristigen variablen Durchschnittskosten produzieren müssten, spricht man von ruinöser Konkurrenz. Wenn das auf Arbeitsmärkten geschähe, würde der klassische Ökonom auch von Löhnen unterhalb des "natürlichen" Niveaus sprechen - mit langfristig schädlichen Allokations- und Reproduktionswirkungen.