Dienstag, 17. Februar 2015

Die Griechenland-Krise und das Chainstore-Paradox

Norbert Häring hatte die Verhandlungen der Euro-Gruppe mit Griechenland als ein Game of Chicken interpretiert und später als Poker gedeutet. Die Interpretation als Game of Chicken ist weit verbreitet, aber meines Erachtens nicht zutreffend. Das Game of Chicken geht so: Zwei Halbstarke fahren mit ihren Autos aufeinander zu. Wer zuerst ausweicht hat verloren. Bei den Verhandlungen mit Griechenland wird das so gedeutet, dass beide Parteien irgendeine Einigung besser ist als ein Scheitern der Verhandlungen und dass beide versuchen, nicht als erste nachzugeben.

Eine bessere spieltheoretische Analogie bietet aber Reinhard Seltens Chainstore-Paradox:  Eine Supermarktkette hat Filialen in einigen Orten und ist in jedem Monopolist. Wenn in einem dieser Orte ein Konkurrent einen Laden aufmacht, können beide Anbieter immer noch  Gewinn erzielen, aber der bisherige Anbieter würde seine Monopolposition verlieren und niedrigeren Gewinn erreichen als in der Monopolposition. Er kann den Marktzutritt des Konkurrenten aber durch Dumpingpreise verhindern oder ihn aus dem Markt drängen; dann würde er aber vorübergehend Verluste machen.

Jeder vernünftige Kettenladenbesitzer, so argumentiert Selten, würde sich für Dumping entscheiden, um die Dumping-Drohung für die anderen Orte glaubhaft zu machen und damit den Marktzutritt in den anderen Orten zu verhindern. Das ist aber spieltheoretisch irrational, wie in dem oben zitierten Wikipedia-Artikel sehr schön erklärt wird.

Auf Griechenland angewandt wird das von Thiess Büttner , dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats bei Finanzministerium, erläutert (via Norbert Häring):

Das Zugeständnis die bestehenden Vereinbarungen aufzugeben, würde aber die im Zuge der Eurokrise eingerichtete Sicherungsarchitektur beschädigen. ... Entscheidet sich die europäische Politik gegen eine Neuverhandlung und bliebe die griechische Regierung bei ihrer Haltung, käme es wegen der Ausfälle zwar zu einer erheblichen Belastung der Euroländer. Die Konditionalität des Hilfsprogramms bliebe aber unbeschädigt. ...  Können die mit Finanzhilfen verbundenen Vereinbarungen aber durch Druck einer Seite aufgegeben und nachverhandelt werden, würde die Glaubwürdigkeit dieses Systems nachhaltig beschädigt. 
Mit anderen Worten: Wenn Griechenland nachgegeben wird, werden andere Länder sich so verhalten wie Griechenland. Das insgesamt wird dann teurer als das Scheitern der  Verhandlungen mit Griechenland.

Der griechische Finanzminister Varoufakis kennt das. (Er bespricht das Chainstore-Paradox in seinem Buch über Spieltheorie auf S. 85.) Wir können also hoffen, dass er die Lage versteht, so schlimm sie ist, anders als sein Kollege Jannis Milios. Eine Lösung ist wohl nur denkbar, wenn eine Regel vorgeschlagen wird, die dann für alle Länder gleichermaßen gilt und unter den spezifizierten Bedingungen immer Anwendung finden kann. Die Verantwortlichen werden das wohl auch so sehen und hoffentlich zu einem derartigen Vorschlag kommen. Ich hatte in diesem Zusammenhang  eine regionalen Lohnindexierung vorgeschlagen, die die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands ohne Restriktionsmaßnahmen herstellen könnte und zugleich eine höhere Beschäftigung und damit höhere Steuereinnahmen ermöglichen würde.  Aber das ist nur ein Vorschlag von einem Ökonomen und politischen Laien.

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