Sonntag, 26. Februar 2012

Keynes war schockiert

Anläßlich des Aufenthalts von Keynes in Washingten im Februar 1943 organisierte Evsey Domar ein Seminar bei der Zentralbank in Washington. Auch Lerner war anwesend. Domar berichtet:
Jemand frage Keynes was er von Lerners Konzept der funktionalen Staatsfinanzen hielte. Er antwortete dass man alle hin und wieder täuschen könne aber nicht andauernd, usw....  Er sprach wahrscheinlich von "Humbug" oder etwas ähnlichem. Ich saß neben Lerner am unteren Ende des Tisches (mit Keynes und Hansen am Kopfende) und erinnere mich lebhaft wie rot Lerners Gesicht war. Niemand verteidigte ihn.
Nach dem Grund für Keynes' Reaktion gefragt war Domars Antwort:
In Anbetracht dessen, dass Keynes ein Jahr später Lerners Konzept der funktionalen Staatsfinanzen  über den grünen Klee lobte denke ich, dass Keynes entweder Lerners Artikel nicht gelesen hatte und das nicht zugeben wollte, oder dass er ihn gelesen aber nicht verstanden hatte. Er hatte reichlich Gesellschaft. Das Konzept der funktionalen Staatsfinanzen schockierte jeden. Stellen Sie sich einen tiefgläuibigen Menschen vor dem erzählt wird dass Gott nicht existiert!
 Lerner erinnert sich ebenfalls an das Gespräch:
Keynes war besorgt darüber, dass nicht ausreichend investiert wurde oder - in seiner Sprechweise - dass zu viel gespart wurde. Ich fragte warum wir darüber besorgt sein sollten. Wenn man den Leuten nur genügend Geld gäbe, würden sie mehr ausgeben. Dann wäre die Nachfrage hinreichend hoch. Eine Depression wäre vermeidbar, wenn wir bereit wären, den Leuten mehr Geld zu geben. Er fragte woher das Geld nehmen. Ich sagte nicht "Geld drucken" sondern "Kredit aufnehmen." Er antwortete dass die Staatsschuld dann ständig wachsen würde und ich sagte "ja". "Was würde dann passieren?" Ich antwortete "Nichts".  Wir sprachen noch ein wenig und Keynes sagte schließlich: "Nein, das ist Humbug" -- das war der Ausdruck, den er verwendete, Humbug (Quatsch) -- "die Staatsschuld kann nicht ewig wachsen."...
Evsey Domar, der daneben stand, bemerkte, Keynes solle vielleicht mal die General Theory lesen.

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Nachweis: Alle Zitate sind dem sehr lesenswerten Buch The Coming of Keynesianism to America: Conversation With the Founders of Keynesian Economics, herausgegeben von  David C. Colander und Harry Landreth, Cheltenham: Edward Elgar 1996 entnommen (Seiten 184f. und 108f.)

Donnerstag, 23. Februar 2012

Primitiver Keynesianismus

Ich sehe dass nunmehr von "primitivem Keynesianismus" ("crude Keynsianism") gesprochen wird, wenn man Argumente angreifen will, die nachfragebelebende Massnahmen befürworten, aber selbst keine Argumente hat. Das ist ein großer Fortschritt. Anfang der 'neuziger Jahre wurde einfach gesagt: Das ist doch Keynesianismus! Dann waren weitere Argumente nicht mehr nötig. (So. z.B. Kurt Faltlhauser 1993 zu mir bei irgendeinem Empfang.) Offenbar gilt "Keynesianismus" nicht mehr eindeutig als Schimpfwort. Deshalb muß man nunmehr von primitivem Keynesianismus sprechen, wenn man keine Argumente vorbringen kann oder möchte.

Freitag, 3. Februar 2012

Wikipedia

In zwei früheren Posts habe ich mich auf Wikipedia-Einträge bezogen und die Fehler in diesen Eiunträgen als Hinweise auf weitverbreitete Missverständnisse genommen (hier und hier). Das war nicht als Kritik an Wikipedia gemeint. Meist ist Wikipedia besser als andere Nachschlagwerke. Z.B. kann man den Eintrag über Ricardianische Äquivalenz in der Wikipedia mit dem Eintrag in einem bekannten Wirtschaftslexikon vergleichen.
Die Wikipedia schreibt: (Stand:2.2.2012):
Die Ricardianische Äquivalenz ist ein auf David Ricardo zurückgehendes Konzept, das sich mit der Wirkung von Steuersenkungen in der Gegenwart, die mit höheren Steuern in der Zukunft finanziert werden, beschäftigt. Dieses Konzept wurde zuerst im 19. Jahrhundert formuliert und kürzlich wieder von Robert Barro aufgegriffen und popularisiert, daher wird in der Literatur auch von Barro-Ricardo-Äquivalenzproposition gesprochen.
Diesem ökonomischen Standpunkt zufolge sind die Wirtschaftssubjekte in der Lage zu erkennen, dass eine Steuersenkung heute, die in der Zukunft zu höheren Steuern führt, nicht ihr Vermögen über die Lebenszeit beeinflusst. Somit werden die Wirtschaftssubjekte das zusätzliche Einkommen, das sie durch die Steuersenkung erhalten, sparen und nicht für zusätzlichen Konsum ausgeben. Eine so angelegte fiskalpolitische Maßnahme würde also keinen positiven Effekt auf die konjunkturelle Situation der Volkswirtschaft ausüben können: Der private Sektor internalisiert das Staatsbudget im vollen Umfang.
Dagegen Gablers Wirtschaftslexikon (Stand: 2.2.2012)
These, die besagt, dass die Konsumenten zukunftsorientiert denken und daher wissen, dass eine Erhöhung der Staatsverschuldung in der Gegenwart zwangsläufig mit einer Steuererhöhung zu dem Zeitpunkt in der Zukunft verbunden ist, zu dem die Staatsschuld zurückgezahlt wird. Die Staatsverschuldung  ist äquivalent mit einer Steuerzahlung. Neben den Implikationen für die Lastverschiebungskontroverse gibt es verschiedene Aspekte für die Stabilisierung angesichts einer Rezession: die Crowding-Out-Effekte (s. Crowding-Out) beider Finanzierungsalternativen sind identisch.
Die Wikipedia ist deutlich präziser, weil sie sich auf  gegebene Staatsausgaben bezieht. Das ist bei Ricardo (und auch bei Barro) wesentlich. Gablers Artikel dagegen läßt offen, ob die Staatsverschuldung aus einer Senkung der Besteuerung oder aus einer Erhöhung der Staatsausgaben herrührt. (Nur das erste wäre korrekt).

Der entsprechende Artikel in "Die große Enzyklopädie der Wirtschaft"  (Stand: 2.2.2012) ist genau so unpräzise wie der Artikel bei Gabler - tatsächlich ist er fast deckungsgleich. Guttenberg läßt grüßen. 


Mein Eindruck ist, dass Wikipedia meist recht gut ist. Ich mache auch gelegentlich mit. Aber manche Artikel sind schwer reparabel, weil sie ungünstig organisiert sind. Dann werden Richtigstellungen sehr aufwendig.

Oft lohnt es sich auch, im New Palgrave nachzuschauen, aber die meisten Webnutzer werden keinen Zugang haben.


Mittwoch, 1. Februar 2012

Arbeitslosigkeit in der EU auf Rekordhoch

Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone ist auf Rekordhoch und Frau Merkel will weitere Sparmaßnahmen bei den betroffenen Ländern durchsetzen! Damit wird das Problem verschärft.

Noch einmal: Die Arbeitslosigkeit ist, ebenso wie die Staatsverschuldung, eine Folge der Finanzkrise. Paul Krugman macht das sehr schön klar.